Mateo Chacón Pino
Vortrag: Kollaps. Kunstgeschichte im Klimawandel
Der Verlust von Kulturgut durch menschengemachten Klimawandel und die künstlerische Aufarbeitung desselben stellen die Kunstgeschichtsschreibung vor neue Herausforderungen. Nicht erst seit gestern befindet sich Kulturerbe auf der ganzen Welt in Gefahr, durch Umweltkatastrophen zerstört und vergessen zu werden, wodurch ebensokulturelle Identität und lokale Zugehörigkeit auf dem Spiel stehen. Zugleich begreifen viele Künstler:innen den Klimawandel als zentrales Anliegen ihres Kunstschaffens – besonders seitdem der Atmosphärenchemiker Paul Crutzen den Begriff des Anthropozäns für ein neues durch den Menschen bestimmtes geologisches Zeitalter vorgeschlagen hat. Umweltzerstörung ist eine global geteilte Erfahrung der aktuellen Generation von Kunstschaffenden. Gerade die vielen lokalen Phänomene des Klimawandels, die nur vor Ort zu beobachten sind, inspirieren sie dazu, einen neuen Ausdruck für die planetaren Zusammenhänge zu entwickeln, wobei sie auch die sinnlichen Erfahrungsdimensionen von Kunst erweitern. Anhand von historischen und aktuellen Beispielen zeichnet dieser Vortrag nach, inwiefern die Erderhitzung die Kunst und die Kunstgeschichte radikal herausfordert und verändert. Etwa, wenn die Konservation von Kunstwerken mit Klimaschutz zusammentrifft oder Kunst den Klimawandel körperlich erfahrbar macht. Hierbei werden auch grundlegende Voraussetzungen der Kunstgeschichte als Disziplin in Frage gestellt: Wie kann sie über eine Kunst sprechen, die sich schon längst nicht mehr auf Objekte beschränkt, sondern immer weiter entgrenzt und sogar Umweltphänomene einschließt?
Der kolumbianisch-schweizerische Kunsthistoriker, Kurator und Autor Mateo Chacón Pino hat in verschiedenen Ländern Ausstellungsprojekte in Kunsträumen, Museen, Galerien und Bauernhöfen realisiert. Zurzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am documenta Institut und an der Universität Kassel im Fachgebiet Kunst und Gesellschaft. In seiner Dissertation „The Distinction of Art & Nature“ hinterfragt er die epistemische Zeit der Kunstgeschichte im Lichte des Anthropozäns und problematisiert den Begriff der Zeitgenössischen Kunst im Kontext der Ausstellung. Weitere Forschungsinteressen sind soziale und erkenntniswissenschaftliche Bedingungen der Kunst, Wissensgeschichte und die Philosophie der Kunstgeschichte, sowie das Problemfeld Ästhetik und Nachhaltigkeit. Zusammen mit Friederike Schäfer hat Chacón Pino die Forschungsgruppe „Exhibition Ecologies“ initiiert, zudem ist er Mitglied des Netzwerkes Creative Climate Leadership Switzerland. Seine Arbeit wird in besonderer Weise durch die Frage nach der Rolle der Kunst in der Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft motiviert.