fahrradkörper

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1912 besuchte Marcel Duchamp zusammen mit dem Bildhauer Constantin Brâncusi und dem Maler Fernand Léger den Pariser Luftfahrt-Salon im Grand Palais. Diese Messe bot dem breiten Publikum Gelegen­heit, die neusten Erfindungen auf dem Gebiet der Luft­fahrt zu bestaunen, nachdem der Franzose Louise Blériot 1909 mit einem Flug über den Ärmel­kanal spektakuläre Schlag­zeile gemacht hatte. Es ist eine zentrale Anek­dote der Kunst­geschichte, dass ein Flug­zeug­propeller Marcel Duchamp bei diesem Messe­besuch nachhaltig beeindruckte. Duchamp faszinierte nicht nur die harmonische Form, sondern auch die Wirkung des Objekts. Er stand vor einer Skulptur, die den Menschen in die Lage versetzt zu fliegen. Zum Fahrwerk des damals ausgestellten einsitzigen Flugzeugs Blériot XI, gehörten auch zwei Fahrrad­reifen. Vielleicht lieferten sie den Anstoß für das erste Ready­made, das Marcel Duchamp kurz nach dem Messe­besuch konstruierte: Eine umgedreht auf einem Holz­hocker montierte Fahrrad­felge.

Seit diesem ersten prominenten Auftritt des Fahrrads in der Kunst ist das Interesse an diesem Fahrzeug nicht abgerissen. Als Objekt und Motiv erfährt es bis heute vielfältige Trans­formationen, Umnutzungen und Neu-Inszenierungen. Es kann zum Mal- oder Musik­instrument werden, bekommt mit einem Ketten­sägen­motor ausgestattet völlig neues Poser-Potenzial, ist Argument bei der politischen Diskussion um die Verkehrs­wende und als apparative Prothese zum menschlichen Körper ein soziales Objekt der Kommunikation. Immer wieder ist es eine kinetische Skulptur, die zur Reflexion von Begriffen wie Balance, Still­stand und Bewegung einlädt.