Helene Appel. Representation

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Mit Helene Appel widmet sich die Städtische Galerie Delmenhorst einer außergewöhnlichen Malerin, die längst durch renommierte Galerien vertreten und mit Auszeichnungen wie dem Goslarer Kaiserring­stipendium gewürdigt wurde. Helene Appel. Representation ist ihre erste institutionelle Übersichts­ausstellung, die danach eine zweite Station im Museum Touchstones Rochdale in England hat. Parallel zu der Einzel­ausstellung werden in der Remise der Städtischen Galerie unter dem Titel of matter. painting drei junge Künstlerinnen und Künstler präsentiert, mit denen Helene Appel an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig gearbeitet hat.

Helene Appel malt Dinge des täglichen Lebens: Nahrungs­mittel, Stoffe, Fischer­netze oder Bäume, Plastik­tüten oder Pfützen. Sie hält sich dabei an ein malerisches Konzept: Freigestellt und in Originalgröße erscheinen ihre Motive auf unbehandelter Leinwand. Vor allem aber blickt Helene Appel stets in extremer Aufsicht auf den Bild­gegenstand – im Film würde man von einem Top-Shot sprechen, aufgenommen im 90°-Winkel zum Objekt.

Schaut man sich die Werke genauer an, wird die Radikalität dieser Haltung deutlich. Denn Helene Appel entwickelt keine malerische Handschrift, betont nicht ihren unverwechselbaren Duktus. Stattdessen sucht sie für jeden ihrer Bild­gegenstände eine adäquate Malmaterie und eine plausible Maltechnik. Für die Darstellung von rohem Fleisch verwendet sie Enkaustik – ein Verfahren, bei dem Farbe mit heißem Wachs aufgetragen wird. Für die Darstellung von Wasser arbeitet sie mit Aquarell­farbe, die die Leinwand durchtränkt. Geht es um Sand, so kollaborieren die gemalten Farbpunkte mit dem punktuell hochstehenden Stoffgewebe des Malgrunds.

Es ist vor allem diese realitäts­nahe Abbildungs­weise, die sofort an klassische Stillleben denken lässt. Seit dem 16. Jahrhundert entstehen Gemälde von Nahrungs­mitteln, drapierten Textilien oder kostbaren Pflanzen. Häufig ging es um allegorische Darstellungen von Luxus­gegenständen, die in aufwendiger Inszenierung und realitäts­täuschend an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens erinnerten.

Der malerische Illusionismus lieferte den Künstlerinnen und Künstlern nicht nur Gelegenheit, ihr handwerkliches Können zu demonstrieren, sondern war Teil eines moralischen Apells, sich nicht von der Oberfläche täuschen zu lassen. Die kunstvolle Setzung von Licht­reflexionen auf einem zerbrochenen Glas, wirkungsvoll verwelkende Blumen, auf der Jagd getötete Tier­körper, scheinbar achtlos verschütteter Wein, all diese Motive zielten auf ein „Memento mori“: Bedenke, dass Du sterben musst.

Zugleich demonstrierten sie das pralle Leben, Wohlstand und Weltgewandtheit, denn der Besitz von feinen Textilien oder exotischen Pflanzen, das Stillleben selbst, setze immer auch die finanzielle Potenz des Auftrag­gebers ins Bild. Obwohl auf diesen Werken keine Menschen vorkommen, handeln sie vom Homo Sapiens, seinen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolgen, demonstrieren seine kulturelle und moralische Bildung und Überlegenheit.

Eine ganz andere Dynamik entwickeln die Gemälde von Helene Appel, die zwar ähnliche Motive illusionistisch darstellen, aber auf den räumlichen Kontext verzichten. Es ist immer ein Objekt, auf das die Künstlerin ihre volle Konzentration richtet und dem sie auf Augenhöhe begegnet.

Ein Fischernetz in seiner Gesamtheit darzustellen, ist ein Akt der Redundanz. Aus der Entfernung ist es kaum zu erkennen, die ungrundierte Leinwand von acht Quadrat­metern scheint leer. Dass sie tatsächlich flächen­deckend bemalt ist, wird erst im Näher­kommen sichtbar und entwickelt eine hypnotische Sog­wirkung. Obwohl das Netz aus immer gleichen Maschen filigraner Nylon­fäden besteht, scheint jede Öffnung auf dem Bild individuell, nichts wiederholt sich hier. Konfrontiert mit dieser wandfüllenden Präsenz entfalten sich die Assoziationen in verschiedene Richtungen. Das Gemälde ruft verschiedene Techniken des Fischfangs in Erinnerung, ebenso wie die oft diskutierten Folgen von Überfischung und die Verunreinigung der Meere durch zerrissene Netze. Auch das kleinformatige Portrait einer Beinscheibe eröffnet große Imaginations­räume, in denen die Massentier­haltung ebenso vorkommt wie der kultur­spezifische Fleisch­konsum oder die Verschwendung und ungleiche Verteilung von Lebens­mitteln in der Welt.

Jedes Werk ist Ausdruck einer intensiven Zuwendung. Helene Appel investiert viel Zeit in vorbereitende Versuche, um ihrem Gegenstand malerisch gerecht zu werden. Es geht ihr nicht um portraitierte Trophäen, vielmehr beobachtet sie ganz alltägliche, banale Objekte und knüpft vielfältige Beziehungen zwischen Mensch, Ding und Umwelt. Ihre Werke führen weg von der Vorrang­stellung des Menschen, hin zu narrativen Netzwerken, in denen wir uns befinden.

Helene Appel (*1976 Karlsruhe) hat eine facettenreiche Akademie­ausbildung mit Stationen am Surikow Institut in Moskau, an den Hochschulen für Bildende Künste in Dresden und Hamburg absolviert. Jeweils ein Auslands­semester verbrachte sie am Chelsea College of Art und am Royal College of Art in London. Die Künstlerin wurde immer wieder mit Stipendien ausgezeichnet, unter anderem von der Studien­stiftung des Deutschen Volkes. Im Jahr 2011 erhielt sie das Kaiserring­stipendium des Mönchehaus Museum in Goslar. Anschließend war sie Artist-in-Residence am spanischen Centre for Contemporary Art in Andratx. 2019 erhielt Helene Appel das zweijährige Dorothea-Erxleben Stipendium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Die Ausstellung wird unterstützt von der Oldenburgischen Landschaft, dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der Stiftung Kunstfonds und der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.